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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 4 Ws 45/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 230 Abs. 2
StPO § 231
Für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 StPO genügen bloße Zweifel des Gerichts an der Richtigkeit der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigung nicht aus.
Beschluss

Strafsache gegen D. K,

wegen Betruges,

hier: Haftbeschwerde des Angeklagten.

Auf die (Haft-)Beschwerde des Angeklagten vom 29. Januar 2008 gegen den Haftfortdauerbeschluss der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 23. Januar 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl vom 9. Januar 2008 wird auf Kosten der Staatskasse aufgehoben. Die Staatskasse hat dem Angeklagten die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I. Gegen den Angeklagten wird aufgrund mehrerer Anklagen wegen vielfachen Betruges sowie wegen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt verhandelt. Gegen den im Fortsetzungstermin vom 9. Januar 2008 nicht erschienen Angeklagten hat die Strafkammer Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen. Der Angeklagte ist aufgrund dieses Haftbefehls im folgenden Termin vom 23. Januar 2008, zu dem er erscheinen ist, verhaftet worden und befindet sich seit diesem Tage in der Justizvollzugsanstalt Münster. Das Landgericht hat im Termin vom 23. Januar 2008 Haftfortdauer angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Haftbeschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in der Sache wie folgt Stellung genommen:

"Der Haftbefehl ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO nicht vorliegen.

Auch wenn es sich um ein Berufungsverfahren handelt, besteht für das Gericht bei einem Ausbleiben des Angeklagten die vorrangige Möglichkeit nach § 329 Abs. 1 StPO, die Berufung ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, nur bei dem erstmaligen Ausbleiben des Angeklagten bei Beginn der Berufungsverhandlung (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 329 Rdnr. 12 m.w.N.). Entfernt sich der Angeklagte später ohne Erlaubnis, ist Abs. 1 der Vorschrift nicht anwendbar (a.a.O.). Vielmehr bestimmt sich das weitere Vorgehen des Gerichts bei Ausblieben des Angeklagten - wie vorliegend - in einem Fortsetzungstermin nach § 230 StPO.

Nach Abs. 2 der vorbezeichneten Vorschrift kann das Gericht einen Haftbefehl erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist. Maßgeblich ist, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Falles billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann (Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdnr. 16). Nach den hier anwendbaren Grundsätzen des § 329 StPO ist das Ausbleiben eines Angeklagten genügend entschuldigt, wenn es glaubhaft erscheint, dass ihn kein Verschulden trifft. Hingegen genügen bloße Zweifel des Gerichts an der Richtigkeit des Vorbringens des Angeklagten und an der Beweiskraft der vorgelegten Urkunden nicht (a.a.O., § 329 Rdnr. 21, 22 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben bestanden zwar Zweifel des erkennenden Gerichts an der Glaubhaftigkeit und der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten am 09.01.2008; diese haben sich jedoch nicht soweit verdichtet, dass das Gericht bereits eine fehlende genügende Entschuldigung annehmen durfte. Denn grundsätzlich reicht die Vorlage privater ärztlicher Atteste aus, soweit sie konkrete Angaben über die Erkrankung enthalten (a.a.O., Rdnr. 26). Vorliegend war dem Gericht jedoch bekannt, dass der Angeklagte eine Schnittwunde an seinem Arm erlitten hatte, die in einem Krankenhaus genäht werden musste. Zwar hat der dort behandelnde Arzt mitgeteilt, dass am Nachmittag eine Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten wieder zu erwarten sei. Der Hausarzt des Angeklagten hat jedoch am selben Tag attestiert, dass der Angeklagte aufgrund des erlittenen Arbeitsunfalls und der durchgeführten Schmerztherapie nicht in der Lage gewesen sei, bei klarem Verstand und uneingeschränkter Beurteilungsfähigkeit der Hauptverhandlung zu folgen. Soweit die Kammer angenommen hat, hierbei handele es sich um ein Gefälligkeitsattest, hat sie diese Erwägung allein darauf gestützt, dass am frühen Vormittag der behandelnde Arzt des Krankenhauses eine Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten für den Nachmittag vorausgesagt hatte. Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen und auch nicht fernliegend, dass der Angeklagte aufgrund des vorherigen Nähens seiner Wunde noch unter anhaltenden Schmerzen litt, die - entgegen der Erwartung des zunächst behandelnden Arztes - auch weiterhin mit entsprechenden Schmerzmitteln angegangen werden mussten, die bekanntermaßen zu einer eingeschränkten Wahrnehmungs- und Beurteilungsfähigkeit führen können. Insoweit hätte es der Kammer freigestanden, bei Zweifeln an der Richtigkeit des Attestes oder der Erheblichkeit der Erkrankung von Amts wegen zu ermitteln. Von einer Nachfrage bei dem Hausarzt des Angeklagten hat die Kammer jedoch abgesehen. Dass der Angeklagte zunächst nicht eine bestimmte Klinik, sondern ein Krankenhaus in Ahlen aufgesucht hat, vermag eine fehlende genügende Entschuldigung ebenfalls nicht zu begründen.

Da die Strafkammer nicht die erforderliche bestimmte Feststellung treffen konnte, dass die Entschuldigung des Angeklagten unwahr war, sondern lediglich einen entsprechenden Verdacht hegte, diesen jedoch nicht durch Nachfrage bei dem behandelnden Hausarzt nachgegangen ist (zu vgl. a.a.O., § 329 Rdnr. 22 am Ende), lagen die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO nicht vor.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vorhergehendem Prozessverhalten des Angeklagten. Zwar wird auch in dem an einem früheren Verhandlungstag vorgelegten ärztlichen Attest zur Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten lediglich eine Erkrankung bescheinigt, bei deren Symptomen sich der Arzt auf die Angaben des Patienten verlassen muss. Auch hier hätte es jedoch der Kammer oblegen, weitere Nachforschungen anzustellen. Soweit der Angeklagte darüber hinaus anlässlich der Vollstreckung des Haftbefehls unzweifelhaft ein taktierendes Verhalten an den Tag gelegt hat, rechtfertigt dies für sich allein genommen jedenfalls nicht die Annahme, dass die früher vorgelegten ärztlichen Atteste unzutreffend seien.

Eine Stützung des Haftbefehls auf die Vorschrift des § 231 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht. Zwar kann das Gericht bei dessen Ausbleiben den Angeklagten bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung in Gewahrsam nehmen, dies gilt jedoch nicht bei einer mehrtägigen Unterbrechung. In diesem Falle ist vielmehr ein Haftbefehl nach § 112 StPO zu erlassen (a.a.O., § 231 Rdnr. 3). Soweit das Gericht in seinem Nichtabhilfebeschluss auf die Möglichkeit eines Angeklagten hinweist, die Regelung des § 231 StPO durch nicht widerlegbare Einlassungen auszuhebeln, vermag dies nicht eine fehlende genügende Entschuldigung, die sich allein nach der Vorschrift des § 230 StPO richtet, zu begründen. Vielmehr erhebt sich in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob die Kammer nicht die Möglichkeit gehabt hätte, bei einem Ausbleiben des Angeklagten bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne ihn zu verhandeln. Inwieweit er - es handelt sich um eine Berufungshauptverhandlung - noch über den Inhalt der Anklage zu vernehmen gewesen war und ob seine weitere Anwesenheit erforderlich gewesen wäre, erschließt sich aus dem Nichtabhilfebeschluss nicht. In diesem Fall erschiene aber der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO als unverhältnismäßig. Da die Vollstreckung des Haftbefehls auch nur zur Vorführung des Angeklagten vor Gericht am 18.01.2008 scheiterte, also nicht eine angeordnete Vorführung des Angeklagten zur Hauptverhandlung scheiterte, ergibt sich auch aus diesem Umstand nicht die erforderliche Verhältnismäßigkeit der Verhängung eines Haftbefehls. Hierbei ist zudem zu beachten, dass der Angeklagte immerhin zu dem Termin am 23.01.2008 erschienen ist.

Da schließlich den Akten und dem Nichtabhilfebeschluss nicht entnommen werden kann, ob die Verhandlung auch in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende geführt werden könnte, erscheint auch die Umwandlung des Haftbefehls in einen Vorführungsbefehl durch den Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls nicht geboten."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Die Kostenentscheidung trägt dem Erfolg der Beschwerde Rechnung.

Ende der Entscheidung

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